Pechsteinkopf

Sukzession am Pechsteinkopf

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  • Südbruch (Foto: Himmler)
  • Kartäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum), (Foto: Himmler)

Der Ostfuß des Pfälzerwaldes ist unter dem Namen „Haardtrand“ mit über 1.000 ha eines der größten Naturschutzgebiete in Südwestdeutschland. Geschützt wird hier insbesondere die traditionelle, kleinstrukturierte Weinberglandschaft. Ihre seltene Tier- und Pflanzenwelt entstammte ursprünglich den oberhalb anschließenden Hängen, wo unter dem Einfluss Jahrhunderte währender Beweidung lichte, von offenen Rasen und Heiden durchsetzte Trockenwälder mit großem Artenreichtum entstanden waren.

Seit ungefähr 200 Jahren ist die Waldweide eingestellt; die letzten Trockenwaldreste schließen sich derzeit. Ein Teil der Arten findet nun in der Rebflur eine neue Heimat.

Der Steinbruch „Pechsteinkopf“ als Teil des Naturschutzgebiets „Haardtrand“

Was dies alles mit Steinbrüchen zu tun hat? Ein Steinbruch ist in das Schutzgebiet einbezogen; er entwickelt sich immer mehr zu einer tragenden Säule für den Erhalt der Artenvielfalt. Nach ihm ist die größte Teilfläche des Naturschutzgebiets als „Haardtrand – Am Pechsteinkopf“ benannt. Der Pechsteinkopf liegt rund 1 km hinter dem Gebirgsrand auf den Gemarkungen der bekannten Weinbauorte Deidesheim und Forst; er ist von Wald umgeben.

Der tertiäre Basalt – die „Pechsteine“ – wurden schon im 16. Jahrhundert als Straßenpflaster und auch zur Bodenverbesserung in den Weinbergen genutzt. Der technische Basaltabbau begann in zwei benachbarten Tagebauen im Jahr 1841. Seit 1964 liegt der südliche, seit 1991 auch der nördliche Bruch still. Die Größe der Steinbrüche beträgt 3 bzw. 8 ha. Aus Naturschutzsicht besonders bemerkenswert ist der seit über 40 Jahren stillgelegte Südbruch.

Auf seiner Ostseite zeigt er nicht die übliche treppenartige Struktur von Bermen und Abbauwänden, sondern präsentiert sich als steiler, spärlich mit Bäumen und Baumgruppen bestandener Steinschutthang, aus dem immer wieder Basaltklippen hervorragen. Hier war 1964 die Steinbruchwand abgerutscht. Für die Natur bietet die abgerutschte Wand besondere Entwicklungsmöglichkeiten. 

Instabile Schuttfächer mit Feinsubstrat, Blockschutt-Ansammlungen und Felsklippen sind in ähnlicher Form wie an natürlichen Felshängen etwa des Mittelrheintals ineinander verzahnt. Inzwischen zeigt sich, dass eben jenes seit Jahrzehnten fast verschwundene Mosaik aus Trockenwäldern und Trockenrasen, das einst den Ausgangspunkt der Artenvielfalt am Haardtrand bildete, hier neu entsteht. Von Jahr zu Jahr wird die Artenzahl größer. Eben jene Arten, die in den Rebflur und den Weinbergbrachen des Haardtrandes nicht vorkommen können, finden am Pechsteinkopf zunehmend Lebensmöglichkeiten.

Sukzession auf der östlichen Steinbruchböschung.

Über 20 Jahre lang nahm die Vegetationsentwicklung auf der abgestürzten Abbauwand einen schleppenden Verlauf. Auf Verebnungen mit Feinsubstrat-Anreicherungen, insbesondere in den unteren Abschnitten, hatten sich schon frühzeitig Pioniergehölze angesiedelt, insbesondere Kiefern und am Fuß der Böschung Salweiden und Vogelkirschen. Weil die Einwanderung der meisten (halb-)schattenverträglichen Krautpflanzen langsamer vonstatten ging, war der Boden unter den Pionierbäumen weitgehend kahl.

Die überwiegenden Abschnitte trugen einen artenarmen Pionierbewuchs mit Golddistel (Carlina vulgaris), Platthalm-Rispengras (Poa compressa) und Steinquendel (Calamintha acinos). Noch in den späten Achzigerjahren deutete nichts darauf hin, dass die abgestürzte Abbauwand zu einem bedeutenden Wuchsort naturnaher Vegetation werden könnte. Mittlerweile hat sich das Bild gewandelt.

Im oberen Abschnitt haben sich auf einzelnen Kuppen aus anstehendem Basalt Silikat-Trockenrasen mit Flügel-Ginster (Chamaespartium sagittale), Kartäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum), Frühlings-Fingerkraut (Potentilla tabernaemontani), Sand-Fingerkraut (Po­tentilla arenaria), Kleinem Labkraut (Galium pumilum) und Thymian (Thymus pulegioides) entwickelt. In Felsspalten wachsen die charakteristischen Streifenfarnarten (Asplenium trichomanes, A. ruta-muraria).

Die seltenste Pflanzenart der Trockenrasen ist das bundesweit gefährdete Täuschende Habichtskraut (Hieracium fallax). Die Gattung der Habichtskräuter ist pflanzensystematisch außerordentlich kompliziert, denn die einzelnen Arten sind scheinbar durch fließende Übergänge miteinander verbunden. Das Täuschende Habichtskraut zählt mit seinem doldenähnlichen Blütenkopfstand noch zu den relativ leicht erkennbaren Arten. 

Seine Hauptverbreitung besitzt es in den Steppen von Südsibirien bis zum Schwarzen Meer. Die isolierten Vorkommen in den Trocken- und Wärmegebieten Mitteleuropas sind Reste eines größeren Areals in der nachkaltzeitlichen Periode des Präboreal/Boreal (ca. 9.500–8.000 Jahre vor heute), das durch die nachfolgende Einwanderung der Laubbäume zerstückelt wurde. Wesentlich zahlreicher ist am Pechsteinkopf das hochwüchsige Ziz‘ Habichtskraut (Hieracium zizianum) vertreten.

Es zählt zu den Erstbesiedlern der instabilen Böschungsabschnitte und greift auch in die Trockenrasen über. An den Rändern von Gehölzgruppen sind gebietstypische Staudensäume entstanden. Pflanzensoziologisch zählen sie zur Hügelklee-Saumgesellschaft (Geranio-Trifolietum alpestris), einer bundesweit gefährdeten Pflanzengesellschaft. Die Ränder trockenwarmer Eichenwälder auf mineralkräftigen, jedoch kalkarmen Böden bilden ihre typischen Standorte. Außer dem Hügel-Klee (Trifolium alpestre) sind z. B. die Pfirsichblättrige Glockenblume (Campanula persicifolia), das Hasenohr (Bupleurum falcatum) und die Straußblütige Margerite (Chrysanthemum corym­bosum) als auffällige und kennzeichnende Stauden der Säume vertreten.

Die Entwicklung sowohl der Trockenrasen- als auch der Saumgesellschaft erforderte bemerkenswert kurze Zeiträume. Dies war nur durch die Nähe von Ausbreitungszentren möglich. Entlang der Steinbruchkronen waren während der vergangenen Jahrzehnte stets einzelne Wuchsorte für die Pflanzen der Trockenrasen und Lichtwälder geblieben. Hier haben letzte Exemplare den Dichteschluss der einstigen Trockenwälder des Haardtrandes überdauern können. Auf den Bergsturzmassen entstanden flächige Standorte, auf denen sich die Arten kräftig ausbreiten und zu den charakteristischen Pflanzengesellschaften zusammenfügen konnten.

Teilweise sind erste Ansätze von Trockenwäldern mit Trauben-Eichen (Quercus petraea), Schlehen (Prunus spinosa) und Stauden der Saumgesellschaft erkennbar. Die Entwicklung von Schluchtwäldern an den kühl-feuchten, nährstoffreichen Standorten, wo sich in den tiefen Abschnitten des Steinbruchs mächtige Feinmaterial-Decken aufgehäuft haben, lässt noch auf sich warten. Weiden und Vogel-Kirschen haben sich zu dichten Vorwäldern zusammengefügt, deren Krautschicht von einigen weitverbreiteten Nährstoffzeigern gebildet wird.

Die charakteristischen Schluchtwaldpflanzen sind im Umkreis selten und haben keine Fähigkeit zur Fernverbreitung. Die besonders seltenen Arten des Haardtrandes wie Diptam, Blauer Lattich oder Purpur-Klee haben den Pechsteinkopf bislang nicht besiedelt. Die Sukzession der vergangenen 40 Jahre lässt aber für die Zukunft noch manches erwarten.

Tiere des Pechsteinkopfs

Zur Tierwelt des Pechsteinkopfs gibt es bisher nur Streufunde. Unter anderem wurde hier die Steppen-Sattelschrecke (Ephipigger ephipigger ssp. vitum) gefunden, wie das Täuschen­de Habichtskraut eine Reliktart nacheiszeitlicher Wärmeperioden. Die hier vorkommende Unterart hat ein kleines Areal, das lediglich Frankreich, Belgien und Luxemburg vollständig umfasst und nur wenig darüber hinausgreift – nach Nordspanien, den Süden der Niederlande, die Westschweiz und Südwestdeutschland.

Die hiesige Unterart entstand durch eiszeitliche Isolation von der südosteuropäisch verbreiteten Hauptpopulation. Isoliert sind auch die Vorkommen in Deutschland. Sie befinden sich am Mittelrhein und der Unteren Mosel, im Saar-Nahe-Bergland sowie am Haardtrand. Die Entfernung zum geschlossenen Verbreitungsgebiet, das in Lothringen beginnt, scheint zwar nicht groß, ist aber für die Steppen-Sattelschrecke gleichwohl unüberwindbar. Sie kann nicht fliegen und wegen ihrer Wärmebedürftigkeit stellen geschlossene Waldgebiete absolute Barrieren dar.

In den Vorkommensgebieten der Steppen-Sattelschrecke kann seit der Eiszeit nie geschlossener Wald gewesen sein, denn sonst hätte sie nicht überdauert. Anfangs hatten die rohen Böden der Bergländer und wohl auch pflanzenfressende Tiere die Ausbreitung beschattender Bäume hinausgezögert; seit rund 7.000 Jahren bewahrt der Mensch – insbesondere mit der Waldweide-Wirtschaft – die Lebensräume.

Seit die Waldweide-Wirtschaft zum Erliegen kam, geht die Step­pen-Sattelschrecke zurück und ist heute stark gefährdet. Am Pechsteinkopf besiedelt die Steppen-Sattelschrecke bislang scheinbar nur die Randbereiche und die Umgebung des ehemaligen Brechwerks mit Ruderalvegetation und angrenzenden Gebüschen. Das inzwischen entstandene Vegetationsmosaik auf dem Bergsturzmaterial des Südbruchs entspricht aber recht genau ihren Lebensraumansprüchen. Es dürfte in absehbarer Zukunft besiedelt werden und kann ihr auf unbestimmte Zeit als Refugium dienen.

Ein ca. 20 m langer Stollen im Südbruch dient Fledermäusen als Winterquartier. Die hiesige Art, das Braune Langohr (Plecotes auritus), verträgt Frost während der Winterruhe. Schutz vor Störungen bietet der See, der sich im Steinbruch gebildet hat: Der Stolleneingang befindet sich in einer ehemaligen Abbauwand knapp über der Wasserfläche.

Im Nordbruch hat sich der Wanderfalke (Falco peregrinus) angesiedelt. Häufig sucht der Wespenbussard (Pernis apivorus) in beiden Steinbrüchen nach Beute. Zwar stellen, wie der Name schon zeigt, Wespen die Hauptnahrung dar. Der Bussard gräbt ihre Erdnester aus; Hornplatten um den Schnabel und an den Fängen schützen ihn vor Stichen. Doch der Wespenbussard greift sich auch Frösche und kleinere Reptilien, die es hier reichlich gibt.Aus dem Klarwassersee in der Sohle des Nordbruchs ruft die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans), bei der sich die Männchen die Laichschnüre um die Beine wickeln und auf diese Weise die Nachkommen schützen.

Der Ruf klingt – je nachdem, ob der Hörer eher pragmatisch oder romantisch veranlagt ist – wie eine Kuhglocke oder das Läuten einer Dorfkirche; er hat der Geburtshelferkröte den Namen „Glockenfrosch“ eingebracht. Aus dem Südbruch ist sie verschwunden. Der dortige See war jahrzehntelang kristallklar, doch inzwischen wurden Karpfen eingesetzt. Der See hat dadurch seinen besonderen Charakter eingebüßt.

Zusammenfassende Beurteilung

Der Südbruch des Pechsteinkopfs deutet an, dass bei der Folgenutzung „Naturschutz“ das Abwerfen des Bermensystems eine sinnvolle Maßnahme im Zuge der Wiedernutzbarmachung sein kann. Zwar sind damit nicht Uhu und Wanderfalke – die „klassischen“ Zielarten stillgelegter Steinbrüche – zu fördern, doch in größeren Tagebauen lassen sich für sie sowohl geeignete Steilwände als auch Hänge wie im Pechsteinkopf kombinieren.

Praktischerweise bevorzugen Uhu und Wanderfalke Steilwände in östlicher Exposition, die sich morgens schnell und mittags nicht zu stark aufheizen, während der Mittags- und Nachmittagssonne ausgesetzte, südlich und westlich exponierte Hänge die besten Voraussetzungen für Xerothermbiotope bieten. Eine artenreiche Besiedlung dieser Biotope ist jedoch daran gebunden, dass die Umgebung Restvorkommen der charakteristischen Tiere und Pflanzen enthält, denn Xerothermbiotope werden oft von reliktischen Arten mit geringem Ausbreitungsvermögen geprägt. 

Der Autor

Heiko Himmler
Dipl.-Geograf

geboren 1963, studierte in Mannheim und Heidelberg Geografie, Geologie und Biologie, parallel dazu war er als freier Journalist tätig. Seit 1990 ist er beim Institut für Umweltstudien Weibel & Ness GmbH (IUS) beschäftigt. Landschaftspflegerische Fachplanungen für Abbaustätten zählen zu den Kernaufgaben des Unternehmens. Himmlers thematische Schwerpunkte liegen in den Bereichen (Vegetations-)Ökologie und Naturschutz.

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