Itllingen

Wichtige Sekundärbiotope für Wanderfalke, Uhu und Co.

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  • Stillgelegter Steinbruch nach der Rekultivierung. In der Wand brütet seit Jahren der Uhu, im Gewässer finden sich seltene Amphibien. (Foto: Preusch 2004)
  • Brütendes Uhuweibchen in einem Steinbruch. Durch ihre gute Tarnung sind die Vögel schwer auszumachen. (Foto: Preusch, 2010)

Wertvolle Sekundärbiotopen

Offene Felsbildungen beschränkten sich im historischen Mitteleuropa im Wesentlichen auf die Alpen sowie die Mittelgebirge. Mit zunehmender Bevölkerungsdichte kam es im Rahmen der intensivierten Landnutzung, insbesondere beim Abbau von Bodenschätzen, zu schwerwiegenden und ausgedehnten Eingriffen in das Landschaftsbild. Die dadurch entstandenen Steinbrüche und Abbruchkanten entwickelten sich im Laufe der Zeit zu wertvollen Sekundärbiotopen. In den entstandenen Wasserflächen finden sich viele seltenen Amphibienarten, an den sonnenbeschienenen Bruchwänden sind zahlreiche Amphibien und Insekten zu beobachten und die Nischen werden von einigen felsbrütenden Vogelarten zur Brut genutzt.  

Diese Entwicklung bot auch dem Wanderfalken – nach seinem dramatischen Bestandseinbruch – neue Möglichkeiten, in der Fläche präsent zu sein. Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre hatte die Wanderfalkenpopulation in Mitteleuropa ihr Bestands­tief erreicht. 

In anderen Regionen der Welt sah es ungleich besser aus. Die Ursachen für den Einbruch, welcher den Vogel nahezu komplett verschwinden ließ, sind vielfältig und werden teilweise kontrovers diskutiert. Unbestritten ist jedoch, dass sämtliche Faktoren dem menschlichen Handeln zugeordnet werden können: Neben einem gezielten Vernichtungsfeldzug gegen alle „Krummschnäbel“ spielte auch das Entnehmen der wenigen verbleibenden Jungvögel für falknerische Zwecke (das sogenannte „Aushorsten“) eine wichtige Rolle. Zudem führte die Anreicherung verschiedener Umweltgifte wie DDT im Fettgewebe der Vögel direkt zum Tod oder zur Infertilität oder sie verursachte eine deutliche Ausdünnung der Eischalendicke mit deletären Folgen.

Im Jahre 1965 gründete sich in Baden-Württemberg die Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz (AGW) unter dem Dach des Deutschen Bundes für Vogelschutz (heute Naturschutzbund Deutschland). Ziel war zunächst eine detaillierte Evaluation möglicher Verlustursachen sowie deren Analyse und daraus die Entwicklung eines Schutzkonzeptes. Die Rund-um-die-Uhr-Bewachung sowie die bauliche Optimierung der noch bestehenden Brutplätze führte zunächst zu einer Stabilisierung des Bestandes auf niedrigem Niveau, im weiteren Verlauf zum Beginn einer Trendwende, welche später als beispielhaft für den ehrenamtlichen Natur- und Artenschutz gelten sollte.

Das Grundprinzip der AGW war und ist es, den Wiederaufbau einer mitteleuropäischen Wanderfalkenpopulation aus dessen eigenen, ursprünglichen Wurzeln heraus voranzutreiben. Zucht- und Auswilderungsprogramme sind von der AGW konsequent abgelehnt worden – ein großer Vorteil, wie sich Jahrzehnte später zeigen sollte. Von Anbeginn an wurde dem Schutzprogramm eine wissenschaftliche Datenerfassung anheimgestellt. Neben der Untersuchung der Resteier auf Biozide wurde die Beringung von nahezu allen Jungvögeln angestrebt. Hierbei wird den Vögeln ein kleiner Metallring, versehen mit einer Kennnummer und einer Kontaktadresse, am Fuß befestigt. Diese Methode lässt bei Wiederfund Rückschlüsse auf Alter und Zugrichtung zu. Die hierdurch gewonnenen Daten zeigen, dass an der Wiederbesiedlung Süddeutschlands, speziell Baden-Württembergs, gezüchtete und in die Freiheit entlassene (ausgewilderte) Falken keinen Einfluss hatten. Diesem Punkt kommt umso mehr Bedeutung zu, als man zum Zeitpunkt der ersten Auswilderungen gezüchteter Falken in anderen Regionen Deutschlands den genetischen Hintergrund nicht beurteilen konnte – es ist bis dato unklar, welche Unterarten oder Hybride (= Mischlinge) von Wanderfalken für die Auswilderungen zur Verfügung gestellt wurden. Erst die Möglichkeiten der modernen Biotechnologie lassen einen Nachweis der Verwandtschaftsverhältnisse zu. Mit Unterstützung durch die AGW versucht eine Arbeitsgruppe an der Universität Heidelberg derzeit, das Geheimnis des genetischen Hintergrundes der Wanderfalken in Europa zu entschlüsseln sowie die Verbreitungs- und Überschneidungsgrenzen der Unterarten darzustellen.

Die kontinuierliche Analyse der Resteier bietet zudem eine gute Möglichkeit des Biomonitorings. Schadstoffe in der Landschaft werden im Ei abgelagert und können mit modernsten Methoden nachgewiesen werden. Der Wanderfalke gilt daher als Bioindikator und ermöglicht es uns als „lebendes Modell“, die Biozidbelastung der Umwelt zu beobachten.

Neben der Be- und Überwachung von Brutplätzen wurden auch zahlreiche neue Nischen geschaffen. Unter teilweise schwierigsten Bedingungen konnten auch die mitunter wenig strukturierten Wände in Steinbrüchen „bezugsfähig“ umgestaltet werden. Mithilfe von Hammer, Meißel sowie dem Schlagbohrer wurden viele Nischen künstlich erstellt – und der Erfolg blieb nicht aus: Bis heute sind viele Steinbrüche durch den Wanderfalken besiedelt. Neben diesen Sekundärbiotopen gewannen auch Kunstfelsen, d. h. hohe Gebäude, immer mehr an Bedeutung. Durch diese „Eroberung“ war es dem Falken fortan möglich, in der Fläche zu siedeln – bis in unsere Großstädte hinein. Vielleicht hat diese Entwicklung das Überleben dieses „schnellsten Vogels der Erde“ erst ermöglicht.

Neben dem Wanderfalken haben aber auch einige andere felsbrütende Vogelarten vom Umbau unserer Landschaft und speziell von Steinbrüchen profitiert. 

Ein weiterer Vertreter tut dies aktuell nicht weniger erfolgreich – jedoch nur selten entdeckt: der Uhu. Unsere größte einheimische Eule nutzt, wie der Wanderfalke, Nischen in Felswänden zur Brut. Auch hier lässt sich über die Jahre eine positive Bestandsentwicklung nachweisen – jedoch nicht selten zum Nachteil des Falken: Der Wanderfalke, wie auch andere Greifvögel, Rabenvögel und Kleinsäuger, gehört zum regelmäßigen Beutespektrum des Uhus. Wenngleich beide Vogelarten dasselbe Biotop erfolgreich zur Brut nutzen können, endet der Falkennachwuchs nicht selten im Magen der Großeule.Außer den erwähnten Tag- und Nachtgreifen profitieren die Dohle sowie der Kolkrabe von offenen Wänden in Steinbrüchen. Auch sie nutzen die Nischen zur Brut. Im Steinbruch Ittlingen trägt die Kooperation aus Naturschutz und Industrie bereits seit Jahren Früchte: 1993 wurde an einer stillgelegten Steilwand des Bruches eine Kunstnische durch Mitarbeiter der AG Wanderfalkenschutz geschaffen. Einige Jahre später waren die ersten Wanderfalken im Bruch zu beobachten, welche in der Folge auch zur Brut schritten. Viele Generationen von Wanderfalken tragen nun zur Wiederbesiedlung Mitteleuropas bei. Erfreulicherweise hat im Jahre 2011 auch der Uhu erfolgreich in Ittlingen gebrütet. 

Die Bestandsentwicklung von Wanderfalke und Uhu, aber auch von Dohle und Kolkrabe bestätigt die herausragende Bedeutung offener Felswände sowie die Notwendigkeit, diese zu erhalten. 

Viele, zuvor meist intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen haben durch den Abbau von Boden und die dadurch entstandenen Steilwände an Qualität für die Artenvielfalt gewonnen. Aus Sicht des Natur- und Artenschutzes sollten diese Sekundärbiotope nicht verfüllt, sondern zumindest zum Teil erhalten werden. Ein Rekultivierungsplan, der diesem Ansatz Rechnung trägt, wird in aller Regel eine ökologische Aufwertung der Fläche zur Folge haben.

Die Autoren

Dr. med.
Michael R. Preusch

Geboren 1975 in Heilbronn, 1997 – 2003 Studium der Humanmedizin in Heidelberg, 2007 – 2010 Forschungsaufenthalt an der University of Washington in Seattle, USA. Seit 2004 Arzt, wissenschaftlicher Angestellter der Universitätsklinik Heidelberg. Seit frühester Jugend im Natur- und Artenschutz aktiv; ehrenamtlicher Naturschutzwart, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz Baden-Württemberg, ehrenamtliche Tätigkeit in der wissenschaftlichen Vogelberingung des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, Vogelwarte Radolfzell, seit 1994.

Dr. med.
Jörg Edelmann

Geboren 1977 in Sinsheim, 2002 – 2009 Studium der Humanmedizin in Heidelberg, seit Dezember 2009 Assistenzarzt in Ludwigshafen. Seit 2007 im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz Baden-Württemberg; Leitung des Arbeitskreises Greifvogelschutz im Naturschutzbund Heidelberg, ehrenamtlicher Naturschutzwart der Stadt Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis; seit vielen Jahren Beringertätigkeit für die Vogelwarte Radolfzell. 

Literatur

AGW (2005): 40 Jahre Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz (AGW). AGW, 77654 Offenburg.

AGW: Jahresberichte 2000 – 2010. AGW-Geschäftsstelle, 73760 Ostfildern.

PREUSCH, M. R., EDELMANN, J. (2010): Populationsdynamik von Turmfalke (Falco tinnunculus) und Schleiereule (Tyto alba) auf einer gemeinsamen Probefläche im Kraichgau (Südwestdeutschland). Vogelwarte 48: 33-41. 

ROCKENBAUCH, D. (2002): Der Wanderfalke in Deutschland und umliegenden Gebieten. Bd. 2. Verlag Christine Hölzinger, Ludwigsburg.

WINK, M., PREUSCH, M., GERLACH, J. (2006): Genetische Charakterisierung südwestdeutscher Wanderfalken. In: Greifvögel und Falknerei, DFO-Jahrbuch 2006. Verlag J. Neumann-Neudamm AG, Melsungen, S. 37 – 47.

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