Steinbrüche

Chancen sehen, Chancen nutzen

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  • Steinbruch Bernsen (Foto: Bruno Scheel)
  • Die Gelbbauchunke (Bombina variegata) ist in Niedersachsen „vom Aussterben bedroht“

Rückgang dynamischer Lebensräume am Beispiel Gelbbauchunke

Strukturreiche dynamische Offenlandschaften sind ‚Hotspots der biologischen Vielfalt‘ und bieten geeignete Lebensraumbedingungen für zahlreiche heimische Amphibien und Reptilien. Jedoch werden diese Habitate durch zunehmende Landnutzungsänderungen in Deutschland immer seltener. Die Folge ist, dass viele Pionierarten ihre Lebensräume verlieren und gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht sind – so wie die Gelb­bauchunke (Bombina variegata).

Der ursprüngliche Lebensraum dieses kleinen Froschlurchs mit der charakteristisch gelb-schwarz gefleckten Bauchseite umfasste in erster Linie die Auenbereiche von Flüssen. Durch Überschwemmungen entstanden hier immer wieder neue Rohbodenflächen und sonnenexponierte Kleinstgewässer. Diese natürliche Dynamik benötigt die Gelbbauchunke für eine erfolgreiche Fortpflanzung. Allerdings ist nach der Begradigung der Fließgewässer in Deutschland das Vorkommen dieser Art stark zurückgegangen, sodass sie heute fast nur noch in vom Menschen geschaffenen sogenannten Sekundärlebensräumen zu finden ist. Dies sind hauptsächlich Ton-, Sand- und Kiesgruben sowie Steinbrüche und Truppenübungsplätze, auf denen durch extensive Nutzung weiterhin eine Dynamik vorhanden ist, die die für die Fortpflanzung der Gelbbauchunke nötigen temporären kleinen Tümpel entstehen lässt. Diese Sekundärlebensräume sind jedoch ebenfalls bedroht, da als Rekultivierungsziel in den häufigsten Fällen eine Aufforstung oder sogar die Einrichtung einer Bodendeponie geplant sind. Den meisten Arten strukturreicher Offenlandschaften steht dieser Lebensraum somit nicht mehr zur Verfügung. Zudem können geeignete Lebensräume derzeit kaum mehr selbstständig (wieder-) besiedelt werden, weil zu große Entfernungen oder unüberwindbare Barrieren, wie z. B. Straßen und Siedlungen, zwischen bereits existierenden Gelbbauchunken-Vorkommen liegen. Daher sind die aktuell bestehenden Populationen oft stark isoliert und es kommt kein genetischer Austausch mehr zustande. Aufgrund dieser anthropogenen Gefährdung befindet sich die Gelbbauchunke in Deutschland in einem schlechten Erhaltungszustand. Sie wird in der Fauna-Flora-Habitat-(FFH) Richtlinie der Europäischen Union in den Anhängen II und IV aufgeführt. Somit ist die Art an sich und auch ihr Lebensraum zu schützen. Gleichzeitig wird die Gelbbauchunke auf der Roten Liste Deutschlands als ‚stark gefährdet‘ und in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Thüringen sogar als ‚vom Aussterben bedroht‘ geführt. Deutschland trägt eine besondere Verantwortung für diese Art, da sich hier sowohl ihre nördliche Verbreitungsgrenze als auch ein bedeutender Teil des Gesamtareals befindet.

Das BPBV-Projekt Gelbbauchunke

Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes der Art wurde durch den Naturschutzbund (NABU) Niedersachsen im Jahr 2011 das bundesweite Artenschutzprojekt „Stärkung und Vernetzung von Gelbbauchunken-Vorkommen in Deutschland“ initiiert, welches im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt (BPBV) vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) finanziert wird. 

Die Gelbbauchunke steht als Leit- und Zielart stellvertretend für eine Vielzahl bedrohter Tier- und ­Pflanzenarten, die auf dynamische Offenlandschaften mit hoher Strukturvielfalt angewiesen sind. Federführend setzt der NABU mit weiteren Projektpartnern wie Biologischen Stationen und Universitäten praktische Maßnahmen zur Stärkung und Vernetzung von Gelbbauchunken-Vorkommen in Deutschland um.

Dieses auf eine Laufzeit von sechs Jahren ausgelegte Projekt zielt darauf ab, den Bestand der Gelbbauchunke zu sichern und die Wiederausbreitung der Art zu fördern, indem geeignete Lebensräume revitalisiert und Trittsteinbiotope als Wanderkorridore angelegt werden. Praktische Maßnahmen werden dabei mit schweren Geräten wie Bagger und Radlader umgesetzt. 

Um stark isolierte Populationen miteinander zu vernetzen und die Gelbbauchunke schneller in einen besseren Erhaltungszustand zu überführen, wird diese Art in bestimmten Projektgebieten wiederangesiedelt. Durch die Artenschutzmaßnahmen soll nicht nur die Vielfalt an Lebensräumen, sondern auch die Artenvielfalt in fünf Bundesländern in insgesamt acht Projektregionen mit 130 Projektgebieten erhöht werden.

Steinbrüche als Lebensraum für bedrohte Arten

Steinbrüche können als Lebensräume gestaltet werden, die den Ansprüchen bedrohter Arten wie der Gelb­bauchunke in besonderem Maße gerecht werden. Bei einem nicht zu intensiven Abbaubetrieb entstehen dynamische (sich verändernde) Strukturen, die Pionierarten Lebensräume bieten. Gleichzeitig liegen nährstoffarme Rohböden, Felssohlen und Steinhalden offen, die durch das Ausbleiben einer künstlichen Düngung und die geringe Bodenmächtigkeit auch im Laufe vieler Jahre einen Offenlandlebensraum bieten, auf dem sich nur wenig beschattende Vegetation einstellt. Die Sukzession der meist nur von Niederschlägen temporär wasserführenden Kleinstgewässer schreitet hier nur sehr langsam voran. In den durch den Abbaubetrieb oder durch praktische Naturschutzmaßnahmen neu entstandenen Tümpeln fehlen Feinde, wie Insektenlarven, völlig. Durch den offenen Charakter der Steinbrüche sind die Gewässer sonnenexponiert und erwärmen sich schnell. Dies begünstigt wiederum die Entwicklung der Kaulquappen, die beendet sein muss, bevor das Gewässer wieder ausgetrocknet ist. Mit ihren unterschiedlichen Biotopen, wie Rohboden- und Brachflächen, Trockenrasen und Tümpeln, Felswänden, Halden, Steinhaufen, Saumstrukturen und Waldbereichen sind Steinbrüche sehr struktur- und damit artenreich. Ein nicht zu intensiver Bodenabbau schafft regelmäßige Störungen und neue Tümpel, welche Pionierarten – wie z.B. der Gelbbauchunke – stetig neuen Lebensraum bieten. Damit wird für die hier lebenden Arten die notwendige Dynamik durch den Menschen imitiert. Die bewusste Steuerung dieser Dynamik auch in bereits stillgelegten Steinbruchabschnitten gibt uns die Chance, wertvolle Offenlandschaften zu erhalten und für den Artenschutz zu entwickeln.

Steinbrüche und Naturschutz in Kooperation – Aktiver Schutz für Gelbbauchunke & Co.

Aufgrund von festgeschriebenen Rekultivierungsmaßnahmen älteren Datums, welche dem Ende des Steinbruchbetriebes üblicherweise folgen, gehen diese Lebensräume immer wieder verloren. In Kooperation mit Unternehmen der Natursteinindustrie, wie der Norddeutschen Naturstein GmbH, werden zukünftige Rekultivierungspläne mit Blick auf seltene Arten, wie der Gelbbauchunke, gemeinsam entwickelt. In der Projektregion ‚Nördliches Weserbergland‘ befindet sich die nördliche Verbreitungsgrenze der Gelb­bauchunke. Durch die starke Isolation der letzten verbliebenen Vorkommen ist die Situation hier besonders kritisch. So besteht eine besondere Herausforderung in der Region darin, dass eine Verbindungsachse geeigneter Lebensräume geschaffen werden muss, um isolierte Vorkommen über eine Distanz von 18 km wieder zu vernetzen. Dafür werden in mehreren Steinbrüchen, in Kooperation zwischen der NNG und dem NABU Niedersachsen, Lebensräume für die Gelbbauchunke geschaffen. Mit Baggern und Radladern werden Rohbodenflächen und Kleinstgewässer angelegt sowie Landlebensräume in Form von Steinschüttungen und Totholzhaufen errichtet. Von diesen Maßnahmen profitieren aber nicht nur Gelbbauchunken, auch andere Amphibienarten wie Teichmolch, Bergmolch, Kreuzkröte, Feuersalamander sowie viele Insekten- und andere Tier- und Pflanzenarten finden hier aufgrund der Strukturvielfalt Rückzugsmöglichkeiten.

Zusammenarbeit auf regionaler Ebene

In enger Kooperation und Abstimmung mit den zuständigen Behörden, den Niedersächsischen Landesforsten als Grundeigentümer sowie der NNG als Betreiber wird in den folgend vorgestellten Projektgebieten gemeinsam für den Erhalt und die Vernetzung der Gelbbauchunke gearbeitet.

Steinbruch Segelhorst

Im Kalksteinbruch Segelhorst ist eine Wiederansiedlung im Rahmen des Gelbbauchunken-Projekts durchgeführt worden. Diese wurde im Winter 2014/15 vorbereitet: Temporäre Kleinstgewässer wurden geschaffen, Rohbodenflächen errichtet, Versteckmöglichkeiten in Form von Stein- und Erdhaufen aufgeschüttet. Rund 100 temporäre Tümpel befinden sich nun im bereits abgegrabenen Bereich des Steinbruchs auf dem von der NNG betriebenen Gelände. Mehr als 1.000 Gelbbauchunken-Kaulquappen wurden hier wiederangesiedelt, um die Vernetzung zwischen den bestehenden Populationen in der Umgebung zu ermöglichen.

Steinbruch Bernsen

Der Kalksteinbruch Bernsen bietet besonnte Offenflächen und konnte durch das Anlegen von Tümpeln in Kooperation mit der NNG mit wertvollen Strukturen angereichert werden. Die Qualität des Steinbruchs als Lebensraum für die Gelbbauchunke wurde bereits im ersten Projektjahr nach FFH-Kriterien untersucht und als ‚gut‘ bewertet: Die vorhandenen Tümpel wiesen ausgedehnte Flachwasserzonen auf, waren stark besonnt und von Rohboden umgeben. Im Sommer 2012 gab es hier noch keine Gelbbauchunken. Diese sollten erst im Folgejahr wiederangesiedelt werden. Zuvor mussten Teile des Steinbruchs allerdings noch strukturreicher gestaltet und eine größere Anzahl an temporären Kleinstgewässern hergestellt werden: Die NNG stellte in Form eines Radladers das geeignete Gerät zur Verfügung. Es wurden erfolgreich Rohbodenflächen, Tümpel und Radspuren sowie eine Vielzahl an Tümpelfeldern angelegt, die das vorhandene Angebot an

Kleinstgewässern noch einmal deutlich erhöhten. Die Qualität des Steinbruchs als vielfältiger Lebensraum wurde in den ersten zwei Projektjahren auch dadurch verbessert, dass neben den geeigneten Wasserlebensräumen auch die nötigen Landlebensräume geschaffen wurden. 

Zur Wiederansiedlung 2013 wurden knapp 1.000 Kaulquappen aus der projektinternen Wiederansiedlungszucht in die Tümpel entlassen. Die ersten Erfolge dieser Maßnahmen zeigten sich beim Monitoring im Folgejahr, bei dem die ersten Gelbbauchunken kartiert werden konnten. 

Steinbruch Rohden

Der Kalksteinbruch Rohden der NNG und der DEUTAG liegt mit einer Fläche von 10 ha im Landschaftsschutzgebiet Wesergebirge. Im Frühjahr 2014 brütete aufgrund seiner Strukturvielfalt und den idealen Lebensraumbedingungen zum wiederholten Male ein Uhupaar (Bubo bubo) in der Felswand. Die Maßnahmen zur Anlage von Kleinstgewässern für die Gelbbauchunke erfolgten in den stillgelegten Steinbruchbereichen am Ende des Jahres, um die Brut der Uhus nicht zu stören. Nach Idee von Bruno Scheel konnten erstmals im bundesweiten Projekt mit Hilfe eines Stemmmeißels Gewässer geschaffen werden. Die geschlossene Felsplatte am Boden bot die Möglichkeit Felsengewässer anzulegen, die die Bedürfnisse der Gelbbauchunke ohne Pflegeaufwand über einen längeren Zeitraum optimal erfüllen. Im Steinbruch wurden innerhalb von drei Tagen ca. 130 kleine Gewässer verschiedener Art und Variation geschaffen: sowohl mit Felsschaufel, schwenkbarem Löffel, Stemmmeißel als auch mit den Rädern des Radbaggers. Profitiert von den Naturschutzmaßnahmen für die Gelbbauchunke haben bereits jetzt die vorkommenden Molcharten Berg- und Fadenmolch. Im Zeitraum von Mai 2015 bis Anfang August 2016 fand hier die Wiederansiedlung der Gelbbauchunke statt. Beim Fang-Wiederfang Monitoring 2016 wurden bereits mehrere subadulte Gelbbauchunken nachgewiesen, die den ersten Erfolg der Wiederansiedlung zeigen. In den Folgejahren wird die wachsende Population durch regelmäßiges Monitoring weiter beobachtet. Da hier ein neuer Lebensraum für Amphibien zugelassen und das Steinbruchgelände mit Kleingewässern bereichert wurde, ist eine Etablierung einer stabilen Gelbbauchunken-Population bereits schon jetzt sehr vielversprechend.

Fazit und Ausblick

Der erfolgreichen und konstruktiven Kooperation zwischen den Niedersächsischen Landesforsten, der Norddeutschen Naturstein GmbH und dem NABU Niedersachsen der letzten Jahre ist es zu verdanken, dass sich Arten wie die Gelbbauch­unke in Steinbrüchen halten können bzw. wieder einen Lebensraum gefunden haben. In der praktischen Arbeit des bundesweiten Gelbbauchunken-Projekts spielt die Wiederansiedlung als Artenschutzmaßnahme eine wichtige Rolle: Es werden schneller als auf natürlichem Wege geeignete Steinbrüche besiedelt, isolierte Populationen wieder vernetzt und der Erhaltungszustand in Niedersachsen verbessert. In Steinbrüchen können sich bei geeigneten Lebensraumbedingungen Spenderpopulationen etablieren, wenn der Abbaubetrieb nicht zu intensiv betrieben und die Entstehung von Amphibienlebensräumen ermöglicht wird. Diese Spenderpopulationen können dann wiederum Quellpopulationen für geschaffene Trittsteine in der Umgebung darstellen. Unabhängig von der Wiederansiedlung stellen die praktischen Maßnahmen zur Anlage von Gewässern in Steinbrüchen eine Aufwertung der Strukturen für alle Amphibienarten dar. Die Einbettung dieser Arbeiten in Artenschutz-Projekte des NABU in Kooperation mit Steinbruchbetreibern wie der NNG bietet zudem die Möglichkeit positiver Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel im Rahmen von Exkursionen. Denn durch das Vorkommen seltener und vom Aussterben bedrohter Arten wird der Wert des Steinbruchs als Lebensraum „greifbar“.

Die ersten Ergebnisse der Wiederansiedlungen im Gelbbauchunken-Projekt sind vielversprechend.Trotz­dem sind Erfolgsaussichten auch an vergleichsweise nährstoffarmen Standorten abhängig von dynamisch neu entstehenden Gewässern, die im Abstand von 2-3 Jahren angelegt werden müssen. In Zukunft ist es daher entscheidend, dass durch den Abbau entstandene und geschaffene Biotope in Rekultivierungsplänen mitentwickelt, gemanagt und gesichert werden.

Die Autoren

Ilona Jentschke

Geboren 1985, studierte Biologie in Berlin und den Master Ökologie, Evolution & Naturschutz an der Universität Potsdam. Während des Studiums arbeitete sie am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) im EU-Projekt BioFresh mit. Seit Mitte September 2014 ist sie beim NABU Niedersachsen im „Gelbbauchunken-Projekt“ tätig und Teil des Teams in der Projektregion Nördliches Weserbergland. 

Ralf Berkhan

Geboren 1966, studierte Biologie an der Leibniz Universität Hannover und den Diplom-Ingenieur Ökologische Umweltsicherung an der Gesamthochschule Universität Kassel/Witzenhausen. Von 2011 bis 2014 war er als Projektleiter für das NABU Niedersachsen Projekt „Lebendige Teiche“ tätig. Seit Oktober 2014 ist er für den NABU Niedersachsen als Leiter des länderübergreifenden BPBV-Projektes „Stärkung und Vernetzung von Gelbbauchunken-Vorkommen in Deutschland“ aktiv. 

Christian Höppner

Geboren 1986, studierte Landschaftsökologie an der Universität Münster. Während des Studiums beschäftigte er sich als studentische Hilfskraft mit der Gelbbauch­unke. Seit Mai 2012 ist er beim NABU Niedersachsen im „Gelbbauch­unken-Projekt“ tätig. Dort kümmert er sich neben der praktischen Maßnahmen­umsetzung um den Erhalt der Artenvielfalt in Tagebaustätten im Nördlichen Weserbergland.

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