Bilstein

Abbau und Renaturierung im Spannungsfeld von Denkmalschutz, Naturschutz, Tourismus und Dorfentwicklung

1 2
  • Abb. 1: Nickende Distel
  • Abb. 2: Wartturm

Der Großraum Brilon ist schon seit vielen Jahrhunderten ein bevorzugtes Gebiet für den Abbau unterschiedlichster Minerale gewesen. Aufgrund der besonderen geologischen Gegebenheiten wurde schon im frühen 12. Jahrhundert der Abbau von Blei auf der Briloner Hochfläche erwähnt (Wilmanns Archiv im Staatsarchiv Münster).

In den folgenden Jahrhunderten wurde Bergbau auf Eisen, Gold, Galmei, Kupfer, Silber, Zink, Baryt, Lydit und Kalkspat getrieben. Die Bleigewinnung war dann auch der Grund, warum Brilon eine wichtige Hansestadt zwischen dem 12. und 17. Jahrhundert war. Noch heute sind Tagebaue im Briloner Raum präsent. Kalkstein und Diabas sind die wesentlichen Gesteine.

Im Devon, also vor etwa 420 bis 359 Millionen Jahren, kam es zu Verwerfungen, wodurch die Gesteinsschichten in unmittelbarer Nachbarschaft zutage traten. Nach Süden erstreckt sich der Tonschiefer des Rheinischen Schiefergebirges. Man steht auf dem vulkanischen Diabas (Grünstein) und schaut nach Norden auf die Briloner Hochfläche mit den bewaldeten oder unbewaldeten Massenkalkkuppen aus dem Devon.

Steinbrüche im Hoppecketal

Neben der Briloner Hochfläche befinden sich recht viele Steinbrüche im Hoppecketal. Die meisten sind heute still gelegt und wichtige Biotope für eine Reihe von Arten. Durch die sehr vielschichtigen geologischen Gegebenheiten (unterschiedlichste Gesteine treten dicht nebeneinander auf) und den kleinräumigen Wechsel verschiedener Landschaftselemente wie Wälder, Magerwiesen, Felsen und Gewässer ist die Biodiversität sehr hoch. Auch die Höhenlagen von über 800 m über NN bis hinunter auf 270 m über NN auf relativ geringer Entfernung tragen dazu bei. Wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten sowie montane Arten treten in unmittelbarer Nachbarschaft auf. Durch die Ausweisung einiger Schutzgebiete wird diesen Gegebenheiten Rechnung getragen. Auch einige ehemalige Steinbrüche gehören dazu.

Der Diabassteinbruch Bilstein am nordwestlichen Gegenhang des Ortsteils Hoppecke ist südexponiert und der Gipfel von über 600 Metern weit sichtbar. Deshalb befand sich hier am Gipfel auch ein Teil der Briloner Landwehr mit einem historischen Wartturm, der um 1480 urkundlich erwähnt wurde. Der knapp 3 Meter hohe Stumpf wurde 2006 archäologisch ausgegraben. Nach ausgiebigen Untersuchungen wurden die Reste entfernt und anschließend im Rahmen einer Abgrabungsgenehmigung zum Abbau frei gegeben.

In diesem Rahmen entstand die Idee seitens der Stadt Brilon, auf einer Halde des Steinbruchs sozusagen als Ersatz einen Aussichtspunkt zu errichten, der touristisch genutzt werden sollte. Der Themenwanderweg „Geologischer Sprung“ entstand. Wanderer und Mountainbiker haben die Möglichkeit, abgesichert vom Rest des Steinbruchbetriebs, mit entsprechender Information hier die Weiten des Sauerlandes zu bestaunen und die geologische Besonderheit des Punktes zu erleben.

Der dort etablierte und sich am Nordhang des Bilstein auf verschiedenen Routen angebotene „MTB-Trailground“ ist sehr beliebt und in der Szene schon überregional bekannt. Für Wanderer bieten sich ebenfalls verschiedene Routen zum Gipfel. Für den Touristen bleiben jedoch die eigentlichen Naturschätze des Steinbruchs verborgen.

Naturschätze des Steinbruchs

Es sind die offenen, fast vegetationslosen und südexponierten steilen Fels- und Schutthänge mit dunklen, sich stark erwärmenden Gesteinen, die unter anderem einer Vogelart einen Lebensraum bieten, die man im Sauerland nicht erwarten würde.

Die Zippammer (Emberiza cia), ein Vogel, der seine Hauptverbreitung in den Gebirgen Südeuropas, Nordwestafrikas und Kleinasiens hat und in Deutschland fast ausschließlich an den warmen Hängen der Weinbaugebiete der Mosel, der Nahe, des Mains und des Rheins vorkommt. Sie ist in Deutschland sehr selten und vom Aussterben bedroht. Das Vorkommen im Hoppecketal liegt weit außerhalb der Hauptverbreitung und ist das nördlichste Vorkommen der Art in Europa.

Die Zippammer benötigt felsige und fast vegetationslose warme Hänge, wo sie am Boden gut versteckt ihr Nest baut. Dort kann sie mit viel Glück auf Felsvorsprüngen oder niedriger Vegetation entdeckt werden. Gern hält sie sich jedoch am Boden auf und bleibt gut getarnt zwischen Steinen und niedriger Pflanzendecke. Sie ernährt sich von Pflanzenteilen und auch von Insekten, die sie am Boden aufnimmt. Seit 1999 liegen Brutnachweise aus dem Hoppecketal vor. Der Steinbruch Bilstein wurde wenige Jahre später besiedelt. 2009 konnten dort sechs Brutreviere/Paare festgestellt werden. Alle lagen an den vegetationslosen Süd- und Westhängen und Halden des Steinbruchs.

Die Brutvorkommen der Zippammer waren im Rahmen der Abgrabungsgenehmigungen nicht bekannt. Daher konnten ihre spezifischen Lebensraumansprüche bei der Planung der zukünftigen Renaturierung nicht in die Abwägung der unterschiedlichen, teils widerstreitenden Interessen einfließen. Schließlich hat sich das Ziel durchgesetzt, die Abraumhalde möglichst harmonisch in das Landschaftsbild der Umgebung einzubinden. Die Genehmigung schreibt nun vor, die von Süden sichtbaren vegetationslosen Hänge wieder zu bewalden.

Roterlen als Vorwald

Die Bewaldung wurde in den letzten Jahren am Westhang der Halde und rund um den Geologischen Sprung bereits umgesetzt. Die ehemals vegetationslose Halde wurde mit fremdländischen Roterlen (Alnus rubra) als Vorwald bepflanzt. Diese haben aktuell bereits eine Höhe von über 4 Metern erreicht. Die ehemals offenen Bereiche sind geschlossen.

Durch diese Entwicklung schwindet leider wieder der Lebensraum der Zippammer, sodass zuletzt nur ein Brutpaar gesichtet wurde. Wird der genehmigte Rekultivierungsplan so weiter umgesetzt, ist das Verschwinden der Zippammer aus dem Bilsteinsteinbruch absehbar.

Aus Sicht des Naturschutzes wäre es wünschenswert, den Renaturierungsplan zu überarbeiten und offene Hang- und Böschungsabschnitte mit Blockund Schuttkegeln zu integrieren, um auch in Zukunft der Zippammer einen Lebensraum im Steinbruch zu bieten.

Ein weiterer Brutvogel im Steinbruch ist der Uhu (Bubo bubo). Deutlich größer als die Zippammer hält er sich ebenfalls bevorzugt in den Felswänden und steilen Hängen auf. Versteckt hinter kleinen Gebüschen oder Felsspalten und größeren Steinen findet er Schutz für die Brut und Jungenaufzucht.

Als nachtaktiver Jäger entzieht er sich auch weitestgehend den Blicken des Menschen. Der Bilstein ist schon seit den Achtzigerjahren Brutplatz des Uhus. In dieser Zeit wurde die Eule wieder im Briloner Raum angesiedelt, nachdem sie durch Bejagung Anfang des 20. Jahrhunderts ausgerottet wurde.

Vegetationslose Flächen

Auf den nahezu vegetationslosen Flächen konnte auch die Heidelerche (Lullula arborea) als seltener Brutvogel gefunden werden. An den warmen Südhängen tummeln sich aber nicht nur die Vögel. Auch die Insektenwelt fühlt sich auf diesen sonnigen und mageren Standorten wohl. So sind eine ganze Reihe an Schmetterlingen, Heuschrecken, Käfern, Schwebfliegen, Hummeln und Wildbienen zu beobachten. Diese wurden im Steinbruch jedoch noch nicht näher untersucht.

Schachbrett & Steinhummel (Melanargia galathea & Bombus lapidarius)

Recht häufig ist der Schachbrettfalter (Melanargia galathea). Er kommt in Mittel- und Osteuropa sowie Nordafrika vor. Während das Schachbrett in NRW im Weserbergland, im Sauerland, der Eifel und im Siebengebirge noch ungefährdet ist, findet man den Schmetterling im Münsterland nur noch sehr selten. In Deutschland ist die Art derzeit nicht gefährdet, aber rückläufig. Sie lebt in eher trockenen, kurzrasigen Lebensräumen, wie beispielsweise auf Wiesen, Lichtungen und warmen Böschungen, gern mit kalkigem Boden. Kalkmagerrasen an sonnigen Hängen zählen zu den bevorzugten Standorten.

Ebenfalls nicht selten sind die Steinhummeln (Bombus lapidarius). Sie bauen ihr kleines Nest gern unter Steinen. Der Besuch der Hummeln auf dem Wilden Majoran (Dost) ist im Steinbruch besonders auffällig.

Nickende Distel (Carduus nutans)

Die Nickende Distel fällt durch ihre rote, recht große Blüte auf, die bis zu 6 cm Durchmesser erreichen kann. Sie ist eine Pflanze warmer und meist kalkbeeinflusster Standorte in sonniger Lage. Die Dornen dienen als Kondensationspunkte für zusätzliche Wassergewinnung an trockenen Standorten und als Fraßschutz gegen Tiere. Die Blüten sind sehr nektarreich und werden gern von Insekten aufgesucht. Im Steinbruch wächst sie an den Halden, an sonnigen Standorten.

Felsen-Greiskraut (Senecio rupestris)

Das Felsen-Greiskraut hat sein Hauptverbreitungsgebiet in den Alpen und dessen Ausläufern. Es kann in alpinen bis submontanen Lagen an steinigen Hängen, Wegrändern und Schuttplätzen angetroffen werden. Seit einigen Jahrzehnten kann die Art außerhalb der Alpen in Deutschland auch auf der Briloner Hochfläche angetroffen werden. Hier hat sich ein kleines geschlossenes Verbreitungsgebiet gebildet. Auf bisher unbekannter Weise hat sich diese Pflanze hier vornehmlich in den Kalksteinbrüchen rund um Brilon angesiedelt und ausgebreitet. Auch im Bilsteinsteinbruch kommt das Felsen-Greiskraut vor.

Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens)

Die ursprüngliche Heimat des Schmalblättrigen Greiskrautes ist Südafrika, am Kap. Die Kapflora, auch Kapensis (Capensis) genannt, ist das kleinste und artenreichste der sechs kontinentalen Florenreiche der Erde.

Das Schmalblättrige Greiskraut ist ein Neubürger (Neophyt) und wurde bereits im 19. Jahrhundert eingeschleppt. Sehr lange Zeit war es nur mit wenigen Exemplaren an den Orten seiner Einschleppung, meist in Häfen, verbreitet und unbeständig. Etwa seit den 1970er-Jahren eroberte es dann fast explosionsartig in kurzer Zeit große Teile Mitteleuropas. Heute ist die Art an vielen Orten in Süd-, Mittel- und Nordeuropa anzutreffen. Oft bildet die Pflanze insbesondere entlang von Fernstraßen und Eisenbahnlinien auffällige, gelbblühende Massenbestände. Weiterhin wächst sie auf trockenen Ruderalstellen, z. B. in Industriegebieten, an Baustellen, Bahnhöfen und an Wegrändern. Die höchsten Lagen des Sauerlandes wurden etwa vor 20 Jahren von der Pflanze erobert.

Im Bilsteinsteinbruch ist es heute sehr häufig und mit seinen gelben Blüten nicht zu übersehen.

So stellt sich der Steinbruch Bilstein als ein sehr vielgestaltiger Lebensraum dar. Seine grandiose Aussicht, seine besondere naturräumliche und geologische Lage sowie die seltene Artenzusammensetzung sind bemerkenswert. Die Vorkommen der Tierarten, insbesondere der Vogelarten und die Erkenntnisse der letzten Jahre sollten in die weitere Entwicklung des Steinbruchs einfließen, um diesen außergewöhnlichen Lebensraum zu erhalten.

Der Autor

Richard Götte

geb. 1960, Polizeibeamter im Ruhestand, seit 1984 aktives Mitglied des Vereins für Natur- und Vogelschutz im Hochsauerlandkreis e. V.. Vorstandsarbeit, Schwerpunkte Botanik, Ornithologie und Fotografie.

 

Literatur

Bettinger, Dr. A. et al. (2013): Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands, Bundesamt für Naturschutz, Bonn

Brand, Dr. C. (2006): Die Ausgrabung der Bilsteinwarte zu Brilon, ARCHEBAU, Essen

Gedeon, K. et al. (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten, Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten, Münster

Götte,R. (2007): Flora im östlichen Sauerland, Verein für Natur- und Vogelschutz im HSK e. V., Brilon

Grüneberg, C. et al. (2013): Die Brutvögel Nordrhein-Westfalens NWO&LANUV, LWL-Museum für Naturkunde, Münster

Ornithologische Arbeitsgemeinschaft im VNV (2018): Ornithologischer Jahresbericht 2016, Verein für Natur- und Vogelschutz im HSK e. V. (unveröffentlicht) http://www.trailgroundbrilon.de/ index.php?id=2

Götte, R.: Abb. 1, Abb. 5, Abb. 8, Abb. 9 & Abb. 11–18

Gutachten ARCHEBAU: Abb. 2

Hardebusch, Th.: Abb. 3

Trailgroundbrilon.de Abb. 4

incl. Brilon, Bearbeitung Götte, Von SanoAK Alexander Kürthy: Abb. 7 Zippammer Verbreitung Europa Made with Natural Earth. Free vetor and raster map data @naturalearthdata.com. Range map from BirdLife International 2017. Emberiza cia (amended version).jpg aus Wikipedia commons.wikimedia.org/wiki/ File:EmberizaCiaIUCN2019-3.png