Oberaula

Die Planung von Lebensräumen. Vom Basalttagebau zum strukturreichen gesetzlich geschützten Biotop

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  • Abb. 1: Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris)
  • Abb. 2: Luftbild

Die Schaffung von Lebensräumen im Zuge der Renaturierung von Tagebauen ist nicht nur die Anlage von Biotopen. Es ist auch ein intensiver Planungs- bzw. Abwägungsprozess zwischen Betreiber, Behörden und Grundstückseigentümern. Neben technischen und gesetzlichen Vorgaben gilt es auch Anwohner einzubinden, um eine Akzeptanz von Abbauvorhaben auf breiter Front zu erzielen. Dem Rekultivierungs bzw. Renaturierungsziel kommt hierbei eine große Bedeutung zu.

In jüngster Zeit setzt sich die Erkenntnis durch, dass Rohstoffgewinnungsstätten im Zuge der Renaturierung die Schaffung strukturreicher Biotope ermöglichen. Sie bieten bedrohten Arten Rückzugs- bzw. Entwicklungsräume in der vom Menschen geprägten Kulturlandschaft. Oberaula zählt dazu. Neben der naturschutzfachlichen Bedeutung soll auch der genehmigungsrechtliche Weg betrachtet werden. Denn im Zuge der Genehmigungsverfahren gilt es, die Interessen und Anforderungen aller Beteiligten in eine kompromissfähige Planung münden zu lassen. Dieser Abstimmungsprozess ist eine wichtige Vorbedingung, um Lebensräume zu schaffen, die in unserer Kulturlandschaft Möglichkeiten für eine sukzessive Entwicklung der Flora und Fauna darstellen. Am Beispiel des Tagebaus Oberaula soll auch dieser Aspekt kurz dargestellt werden.

Geographische Lage & Entwicklung des Tagebaus

Der ehemalige Basalttagebau Oberaula der Basalt-Actien- Gesellschaft (BAG) liegt nördlich der Gemeinde Oberaula im Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen. Er
liegt im bewaldeten Kuppenbereich des Nöll-Berges in einer Höhe von 440–490 m ü. NN (vgl. Abb. 2 Luftbild). Die ehemalige Betriebsfläche umfasst rund 30
Hektar, welche sich aus Betriebs- und Abbaufläche zusammensetzt (vgl. Abb. 8 Bestands- und Maßnahmenplan).
Naturräumlich ist das Waldgebiet mit dem Tagebau gemäß der naturräumlichen Gliederung Deutschlands der Einheit 356.1 „Östlicher Knüllvorland“ zugeordnet. Um 1900 wurde mit dem Abbau begonnen, welcher seit 1959 durch die Basalt AG betrieben wurde. Ab 1993 unterlag der Betrieb der Bergaufsicht.

1998 wurde die Abbautätigkeit eingestellt, und es erfolgte im östlichen Bereich die Einlagerung von unbelastetem Erdaushub entsprechend einem genehmigten Sonderbetriebsplan, um das Ziel einer Vollverfüllung der Tiefsohle im Rahmen der Rekultivierung zu erreichen. Aufgrund vorhandener Massendefizite im Marktraum konnte dieses Ziel allerdings nicht realisiert werden.
Die Verfüllung wurde mit dem Rückbau der baulichen Anlagen in 2004 und der Beendigung der Wasserhaltung in 2005 eingestellt. Aufgrund des Massendefizits und der sich bis 2011 einstellenden Wasserfläche von ca. 4,3 Hektar konnte die ehemals geplante Rekultivierung (Aufforstung) nicht mehr realisiert werden.
Somit war im Zuge des Abschlussbetriebsplans des Jahres 2012 die Rekultivierung des Betriebsgeländes neu zu regeln.

Verfahrensrechtliche Einordnung und Begründung der Vorgehensweise

Die Basalt AG Hartsteinwerke Bayern-Mitteldeutschland war gemäß § 53 Abs. 1 Bundesberggesetz (BBergG) verpflichtet, einen Abschlussbetriebsplan aufzustellen, um die bergbaulichen Tätigkeiten nunmehr vollständig einzustellen. Da die Zulassung eines Abschussbetriebsplanes gemäß §§ 48 Abs. 2 und 55 Abs. 1 zu erteilen ist, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, galt es behördlicherseits zu prüfen, ob Gründe für eine Abweichung von der ehemaligen Ausgleichsplanung (Aufforstung) vorlagen. Dies war aufgrund der eingeschränkten Betriebsweise des Tagebaus über die Jahre gegeben, da sich neben der Entwicklung eines naturnahen Stillgewässers und einer uferbegleitenden natürlichen Vegetation ein gesetzlich geschütztes Biotop gemäß § 30 Abs. 2 Ziffer 1 BNatSchG entwickelt hat.

Kennzeichen des schützenswerten Biotops waren die staunassen Bereiche, trockene Areale mit geringer Bodenauflage auf felsigem Untergrund (Abb. 6 & 7), mesophile Staudenflure auf Rohböden (Abb. 4 & 5), Steinblockhalden (Abb. 3) sowie Vorwaldstadien.

Diese strukturreiche Entwicklung galt es entsprechend der in der neuen Situation greifenden Gesetzeslage zu erhalten und zu schützen, sodass von dem ehemals genehmigten Rekultivierungsziel „Wirtschaftswald mit der Hauptbaumart Buche“ abgewichen werden musste.

Somit hätte die Umsetzung der ehemaligen Planung einen unzulässigen Eingriff in Natur und Landschaft nach § 15 Abs. 5 BNatSchG dargestellt, da die Zerstörung des strukturreichen Biotops die Voraussetzung für die Altausgleichsplanung gewesen wäre. Dies wäre nur bei unmittelbar drohenden Gefahren für Leben und Gesundheit zulässig, was hier aber nicht vorlag.

Naturschutzrechtliche Einordnung

Der Tagebau ist umgeben vom Natura 2000 Gebiet Nr. 5122-301 Vogelschutzgebiet „Knüll“. Insbesondere der Tagebausee hat aus naturschutzfachlicher Sicht eine sehr hohe Bedeutung für das Vogelschutzgebiet (VSG). Losgelöst von den gesetzlichen Grenzen liegt das Tagebaugebiet funktional im Vogelschutzgebiet.

Dies begründet sich darin, dass das VSG „Knüll“ u. a. eines der fünf wichtigsten Gebiete für den Schwarzstorch (Ciconia nigra) in Hessen darstellt. Für diese Zielart des VSG stellt das Tagebaugelände ein Nahrungshabitat dar, welches aus naturschutzfachlicher Sicht eine besonders hohe Bedeutung aufweist.

In den vergangenen Jahren wurde der Schwarzstorch mehrmals bei der Nahrungssuche am See beobachtet. Damit stellt das Tagebaugelände eine sehr wichtige Ergänzung des VSG „Knüll“ dar, das naturschutzfachlich zu schützen ist.

Im Jahr 2008 wurden mit der Bergaufsicht und weiteren Beteiligten Vorgespräche geführt, um seitens der BAG einen Konsens zum weiteren Vorgehen zu erreichen, damit dieser in dem zu erstellenden Abschlussbetriebsplan mündet.

Hauptpunkte dieses Abstimmungsprozesses waren vorrangig folgende Themen:

  • Wiederaufforstung / Rekultivierung bzw. Renaturierung
  • Standsicherheit der Böschungen
  • Schaffung einer Seefläche bzw. Entwässerung des Tagebaus und die damit verbundene Genehmigungserfordernis

Auf weitere umfangreiche Maßnahmen, welche der Optimierung der Standortbedingungen dienten und dem Rückbau von Restanlagen, soll in Anbetracht der Kürze des Artikels nicht eingegangen werden. Nur der Hinweis, dass auch hier ein umfangreicher behördlicher und gutachterlicher Abstimmungsprozess notwendig war.

Insbesondere die letzten beiden Punkte bedingten weitere Gutachten und einen Beobachtungszeitraum von ca. drei Jahren, damit die Ergebnisse im Abschlussbetriebsplan berücksichtigt werden konnten. Sie waren die Voraussetzung für die Genehmigungsfähigkeit des Abschlussbetriebsplans.

Für die Standsicherheit wurde festgestellt, dass ein Abflachen der nördlichen Böschungsbereiche (Abb. 7 & 9) im Tagebau nicht zielführend war, da der natürliche geomorphologische Prozess der Erosion zur Hangstabilisierung führen wird und darüber hinaus aus naturschutzfachlicher Sicht gewünscht war (Erhaltung dieser steilen Rohbodenflächen). Deswegen wurde auch die geplante Anlage eines forstwirtschaftlichen Weges verworfen. Sie hätte einen massiven Eingriff in die Böschungsbereiche bedeutet und zur Destabilisierung geführt. Als Folge wären Beeinträchtigungen der umliegenden Waldbereiche eingetreten.

Bezüglich des Sees konnte aus wasserwirtschaftlicher Sicht festgestellt werden, dass er weder aus einem Grundwasserkörper gespeist wird, noch einen erkennbaren Zulauf oder Ablauf besitzt. Die Höhe der Wasserspiegellage wird im Wesentlichen von der Verdunstungsrate und den Niederschlägen auf die Seefläche bestimmt. Dies ist im Zuge eines mehrjährigen Beobachtungszeitraums nachgewiesen worden. Aus diesen Gründen wurde der See aus wasserwirtschaftlicher Sicht von untergeordneter Bedeutung im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 HWG angesehen und bedurfte keiner Genehmigung.

Im Zuge der Abstimmung zum weiteren Vorgehen mit der Oberen Naturschutz- und Forstbehörde und der Bewertung des Standortes erfolgten mehrere Begehungen. Diese mündeten in einer Bestandsbewertung und der Festlegung der von der ehemalig geplanten Rekultivierung abweichenden Maßnahmen zur Renaturierung des Tagebaus. Insbesondere der Erhalt fortgeschrittener Vorwaldstadien im Norden des Sees und der Sukzessionsflächen im aufgelassenen Steinbruch sind hier zu nennen (vgl. Abb. 10).

Fauna & Flora des geschützten Biotops

Die einzelnen Flächen des geschützten Biotops und deren prägende Flora und Fauna sollen nachfolgend kurz skizziert werden. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der uferbegleitenden Vegetation und ist gekennzeichnet durch verschiedene typische Standorte, welche in kleinräumigen Wechseln anzutreffen sind.

Hierzu zählen staunasse und trockene Bereiche mit geringer Bodenauflage auf felsigem bzw. grußigem Untergrund. In den staunassen Arealen sind Moose, vor allem Spiralzahnmoos (Tortella inclinata und Waldbinsengesellschaften mit der Stern-Segge (Carex echinata) anzutreffen, wie auch Arten der Quellfluren und Waldsümpfe (Montio-Cardaminetea). Auf den trockenen Bereichen sind typische Vertreter der Felsgrasfluren wie Hasenklee (Trifolium arvense), Wegbresse (Lepidium ruderale) und rotes Straußgras (agrostis capillaris) anzutreffen. In den steileren Lagen sind vermehrt Moose (Graue Zackenmütze (Racomitrium canescens) und das Brunnenlebermoos (Marchantia polymorpha) sowie Flechten (Becherflechten (Cladonia fimbriata, C. pyxidata und C. rei) und die Hundsflechte (Peltigera didactyla) anzutreffen.

Insbesondere diese steileren Lagen werden weiterhin durch die erosiven Prozesse noch eine Weile gehölzfrei bleiben und damit ein Habitat (vgl. Abb. 10) für Reptilien und Heuschrecken wie z. B. die Dornschrecken bieten. Diese vegetationsarmen Felsgrusfluren genießen einen hohen Schutzcharakter und entstehen heute oft nur noch im Zuge von Rohstoffgewinnungsstätten. Die nächstgelegenen vergleichbaren Strukturen liegen in einem FFH-Gebiet bei der Gemeinde Gudensberg im gleichen Landkreis. Rohböden mit einer etwas besseren Nährstoffversorgung befinden sich sowohl im Südwesten und Westen als auch im Süden im Bereich der ehemaligen Betriebsanlagen. Hier sind Möhren-Steinkleefluren (Dauco-Melilotion) anzutreffen. Typische Vertreter sind u. a. Wilde Möhre (Daucus Carota) (vgl. Abb. 15) und Weißer Steinklee (Melilotus albus). Dichte Grasnarben sind nur auf wenigen Flächen des Steinbruchs vorhanden. Dominierend sind Poanemoralis-Gesellschaften.

Aus der Verbindung der schützenswerten Biotopfläche und des restlichen Tagebaubereiches mit dem Offenlandarealen und Vorwaldstadien ist ein
Ökosystem entstanden, das durch einen hohen Artenreichtum gekennzeichnet ist. Die ist in der Ausgleichsplanung (vgl. Abb. 16) eingeflossen. Durch
großflächige Sukzessionsflächen erhalten Stauden, Gräser, Kräuter und Sträucher Lebensräume, welche wiederum wichtige Nahrungslieferanten der Fauna sind. Viele Insekten wie z. B. die dunkle Erdhummel (vgl. Abb. 14), Raupen und Schmetterlingsgarten sind auf Pionierarten angewiesen wie die Weiden und Birken sowie bewehrte Sträucher wie Wildrosen-Arten,
Schlehe und Beerensträucher. Abschließend ist festzuhalten, dass die Unterschutzstellung des Tagebaus Oberaula diesen Prozess der Sukzession sichert und somit die biologische Diversität fördert. Tagebaurenaturierungen durch sukzessive Entwicklung bieten somit die Möglichkeit der Umsetzung des Naturschutzzieles: der Erhaltung der Artenvielfalt.

Der Autor

Andreas Baumgart

geb. 1961, Dipl.-Geograph, Studium der Geographie in Marburg mit den Nebenfächern Geologie und Botanik. Seit 1989 bei der BfU Dr. Poppe AG in Kassel und verantwortlich für die Bereiche Steine-Erden, Abfall und Altlasten.

 

Literatur

Basalt AG Oberaula 02/2012: Abschlussbetriebsplan

Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung Bad Godesberg (1969): Geographische Landesaufnahme 1:200000 naturräumliche Gliederung Deutschlands, Blatt 126 Fulda

BfU AG, Kurz, 2020: Abb. 1, Abb. 3, Abb. 4, Abb. 6, Abb. 9, Abb. 10, Abb. 14 & Abb. 15

mago luftbild freig. Reg.-Präs Münster Nr.: M2261/90: Abb. 2

Baumgart: VBfU AG, 2006 / BfU AG, 2009: Abb. 5, Abb. 7, Abb. 8 & Abb. 16

Adobe Stock: Abb. 11–13